In Hebron ist viel passiert, doch gleichwohl hat sich in den letzten 50 Jahren Besatzung nicht viel verändert.
von Ramona Wakil

Verlassen, zerrissen, hoffnungslos. So wird Hebron, die grösste Stadt im Westjordanland von den Medien beschrieben. Und tatsächlich. Die Stadt scheint nicht mehr das zu sein, was sie einst war. Besser als die in Hebron stationierten israelischen Soldaten kann kaum jemand die Lage beschreiben. «Breaking the silence», eine Organisation bestehend aus ehemaligen IDF Soldaten, widmen Hebron deshalb in ihrer neuesten Aufklärungsarbeit eine besondere Aufmerksamkeit.
Das Buch "Occupying Hebron-Soldiers’ Testimonies from Hebron 2011-2017", welches von Breaking the Silence verfasst wurde, schildert 48 Geschichten von IDF Soldaten, die in Hebron gedient haben. [1] Diese kurzen Geschichten beinhalten sehr persönliche und individuelle Erinnerungen der Soldaten. Die Grossstadt Hebron ist in zwei Zonen unterteilt. H1 und H2. In der Zone H1 wohnen 140'000 Palästinenser und keine Juden. In der Zone H2 wohnen 30'000 Palästinenser und 800 jüdische Siedler. [2] Die Geschichten der Soldaten thematisieren alltägliche Situationen, Befehle und Ausführungen, die sich in Hebron während ihrer Dienstzeit zutragen haben.
Steine, Schikanen, Passkontrollen, spontane Hausdurchsuchungen von maskierten Soldaten– das gehört zum Alltag der Palästinenser, die in den Teilen leben, in denen sich illegale jüdische Siedlungen befinden. Immer wieder wird von den IDF Soldaten jedoch erklärt, man könne nichts dagegen tun, denn ihr einziger Zweck in Hebron wäre, die israelischen Siedler zu schützen und Befehle auszutragen.
Das heisst, wenn jüdische Siedler irgendwelche Palästinenser attackieren, können und dürfen die IDF-Soldaten die Siedler, nicht zur Rechenschaft ziehen. Ihre Aufgabe lautet nämlich; Schützt ausschliesslich die jüdischen Siedler. Die Polizei, die dann gerufen wird, käme zwar dazu, doch ausser einiger Fragen, die den Palästinensern gestellt werden, wird nichts unternommen. Anzeige und Anklage? So weit käme man nicht. Diese Szenarien werden nach über 50 Jahren Besetzung in Hebron mittlerweile akzeptiert und man schweigt darüber.
Dieses Schweigen wurde nicht nur in den Geschichten der Soldaten immer wieder betont, sondern auch vom Mitgründer von "Breaking the Silence" Yehuda Shaul. Er erklärt Interessierten immer wieder, was in Hebron geschieht. Tilo Jung, der im Rahmen seiner Youtube-Sendung "Jung und Naiv" nach Hebron reiste, liess sich die Geschichte und Situation von Yehuda Shaul schildern. [3]
Man wird während der Reportage nicht nur direkter Zeuge von den unzumutbaren Zuständen, in denen die Palästinenser in den besetzten Gebieten leben, sondern konnte auch sehen wie jüdische Kinder die Reportage störten und sogar zu Eier griffen und sie damit bewarfen. Die IDF Soldaten konnten nicht viel dagegen tun, denn ihre Aufgabe besteht, wie bereits erwähnt, lediglich darin, die jüdischen Siedler zu beschützen.
Man merkt bei der Recherche zu Hebron schnell, wie das Schweigen die Lage verschlechtert hat. Es wird aber nicht nur das israelische Schweigen über die Besetzung angesprochen, sondern vielmehr das mediale Schweigen auf der ganzen Welt. Yehuda Shaul beschreibt es wie folgt:
«Rome was not built in one day, Hebron was not sterilized in one day […] And yes, it doesn’t hit the news, but that’s how you do occupation.”
Nebst dem medialen Schweigen, die die Besetzung der palästinensischen Gebiete stillschweigend legitimiert hat, gab es in Hebron wichtige historische Ankerpunkte, die das heutige Leben der Palästinenser beeinflussten. Dazu gehört das Massaker von Hebron 1929, indem 69 Juden durch Teile der arabischen Bevölkerung Hebrons ermordet und über 100 verletzt wurden. Und das Goldbach Massaker von 1994, indem von Baruch Goldstein einem jüdischen Siedler 19 Palästinenser ermordet und mindestens 150 verletzt wurden. [4]
Historisch ist in Hebron viel geschehen. Solche Ereignisse prägen die Politik. Was jedoch Tatsache ist und bleiben wird, egal wie lange darüber geschwiegen wird, ist dass die Palästinenser weder die gleichen Rechte wie die israelischen Siedler haben, da sie dem Militärrecht unterliegen und die Siedler dem israelischen Zivilrecht, noch können sie in Hebron ein würdevolles Leben führen.
Jakob Reimann, der selbst in Palästina gelebt hat und nun in Israel lebt, beschreibt dieses diskriminierende Rechtssystem sehr präzise. Er vergleicht die berühmte Tat der damals 16-jährigen Ahed Tamimi mit der Tat vom IDF Soldaten Elor Azaria. Die Palästinenserin Ahed hatte einen israelischen Soldaten geohrfeigt, nachdem dieser ihrem Cousin in den Kopf geschossen hatte. Der israelische Soldat Azaria schoss einem reglos am Boden Liegenden Palästinenser in Hebron in den Kopf. Zuvor hatte dieser mit einem Messer die Soldaten angegriffen. Die Gerichtsurteile der beiden Taten sprechen für sich: [5]
«Für diese Ohrfeige wurde die Palästinenserin Ahed zu acht Monaten Gefängnis verurteilt, während der Israeli Azaria für die Hinrichtung eines reglos am Boden Liegenden neun Monate saß – Unrechtsjustiz im Apartheidstaat Israel.»
Was sich in Hebron abspielt kann nicht mit dem allgegenwärtigen Argument der Sicherheitsfrage Israels begründet werden. In der letzten Geschichte des Buches «Occupying Hebron» ist der Schlusssatz eines jenen Soldaten: [6]
“I remember even asking my Platoon Commander why we’re doing what we're doing now. And he says: to demonstrate presence, to show deterrence, to show the Palestinians there's someone ruling over them.”
Gewalt wird von beiden Seiten ausgeübt. Man muss die Gewalt beider Seiten scharf verurteilen. Hebron kann man nicht schönreden und sollte es auch nicht versuchen, denn jeder Mensch mit einem Moralverständnis kann beurteilen, dass die Grenze gegenüber den Palästinensern eindeutig überschritten wurde. Es braucht nicht viel Recherche zu betreiben und Erfahrungsberichte durchzulesen, um zu dieser Erkenntnis zu erlangen.
Deshalb ist es wichtig die Medien und die Menschen mit der Geschichte Hebrons zu konfrontieren und Fragen zu stellen. Wenn das nicht geschieht, dann wächst die diskriminierende Besatzungspolitik Israels und es wäre dann zu leicht zu behaupten, man hätte es nicht wissen können.
Hier habe ich noch eine Linksammlung eindrücklicher Artikel aufgelistet, die die Situation in Hebron ein wenig beleuchten:
https://www.nzz.ch/articleeuky7-1.105711
Quellen:
[1] Occupying Hebron, https://www.breakingthesilence.org.il/inside/english/campaigns/occupying-hebron/,
[Zuletzt besuch am 12.02.2019]
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Hebron, [Zuletzt besuch am 12.02.2019]
[3] Tilo Jung, Hebron, die Geisterstadt: Breaking the Silence - Jung & Naiv: Folge 389, https://www.youtube.com/watch?v=7ayiO1Gl6lo&t=2921s, [Zuletzt besuch am 12.02.2019]
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Hebron, [Zuletzt besuch am 12.02.2019]
[5] Vom kaltblütigen Mörder zum Nationalhelden – Elor Azaria und die Tragik israelischer Politik, https://diefreiheitsliebe.de/politik/vom-kaltbluetigen-moerder-zum-nationalhelden-elor-azaria-und-die-tragik-israelischer-politik/, [Zuletzt besuch am 12.02.2019]
[6] Occupying Hebron, S. 69, https://www.breakingthesilence.org.il/inside/english/campaigns/occupying-hebron/,
[Zuletzt besuch am 12.02.2019]
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