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Chemnitz-Die Akte der Industrie

Aufschwung, Fall, Illusion. Was die überwältigende Industrie mit Chemnitz anstellte. 

 

 

von Nick Häfeli, 11.11.2018

DDR 1952: Karl-Marx-Stadt wird zum grössten Bezirks West-Deutschlands demokratisiert. Inmitten des zwei Millionen Distrikts erhebt sich Chemnitz als administratives und wirtschaftliches Zentrum aus seinen verdonnerten Überresten wieder. 

 

Die «Karl-Marx-Stadt» wird mit über 20% der industriellen Erzeugnisse der DDR zum wirtschaftlichen Achsenpunkt des Staates. Ein schon fast zu vielsagendes Beispiel dafür ist die Wismut AG, der viert grösste Uran Produzent während des Kalten Kriegs und deren Hauptsitz bis heute in Chemnitz zu finden ist. [1] Genauso, wie es einem Produzenten von waffenfähigem Uran inhärent war, sich spätestens 1991 praktisch in Luft aufzulösen, schmilzt auch die Chemnitzer Bevölkerung in Packeis Tempo. 

 


Die dortige verarbeitende Industrie konnte durch den freien Markt zwar einen Aufschwung erleben, aber gleichzeitig war das Gegenteil der Fall.


 

Seit dem Mauerfall verlor Chemnitz 25'000 Einwohner. [2] Die Zukunftsprognosen gliedern sich der Geschichte an. Die dortige verarbeitende Industrie konnte durch den freien Markt zwar einen Aufschwung erleben, aber gleichzeitig war das Gegenteil der Fall. Die dortige Wirtschaft unterlief einen grossen strukturellen Wandel. 

 

Obwohl in der Periode zwischen 1995 und 2012 etwa 8'000 neue Unternehmen entstanden, konnte der Abfluss an Arbeitskraft nicht aufgehalten werden. [3] Während die Effizienz und der Umsatz stetig stiegen, stagnieren die Löhne und die Beschäftigung.

 

Diese Zahlen korrelieren auch mit der herrschenden Arbeitslosigkeit in Chemnitz. Sie verbessert sich von Jahr zu Jahr. Dies hängt vor allem mit den effizienteren Massnahmen ihrer Regierung zusammen, welche die Betreuung und Wiedereingliederung Arbeitsloser stetig optimiert hat. 

 

Arbeitslosenstatistiken haben aber leider die Tendenz die Welt besser aussehen zu lassen, als sie in Wirklichkeit ist. Tatsächlich findet nur ein Viertel der Leute, welche der Arbeitslosigkeit den Rücken kehren, eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt. Der Rest befindet sich in Umschulungsmassnahmen oder Ähnlichem. Diese fallen somit aus den Statistiken, haben aber trotzdem keine Beschäftigung in der Privatwirtschaft. 

 

Mit dieser Erkenntnis wächst die Anzahl von den tatsächlich Unterbeschäftigten von den gewöhnlichen «Arbeitslosen» in Chemnitz im Jahr 2017, von 8’800 auf 12'400. [4] Zudem sank die Anzahl der Leute welche direkt wieder in die Privatwirtschaft eingegliedert wurden um mehrere Hundert im Vergleich zum Vorjahr. Mit diesen Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass diese Arbeitsmarktsituation unmenschliche Umstände herbeiführen kann. Arbeitnehmer, welche im zweiten Arbeitsmarkt tätig sind, erhalten nämlich keinen Lohn, sondern bekommen nur die Sozialleistungen vom Staat, welche trotz Vollzeitjob in Deutschland einen Wert von 416 Euro haben. [5]

 

Diese prekäre Situation ist in Deutschland aber nichts Neues. Denn Arbeitslose sind nicht die Einzigen, welche auf zusätzliche Leistungen angewiesen sind. Trotz propagiertem Wirtschaftswachstum empfangen heute 4,2 Millionen Menschen Hartz IV, wovon ein Viertel gar nicht Arbeitslos ist. [6]

 

Sie arbeiten, aber ihr Lohn reicht trotzdem nicht zum Leben aus.  An diesem Punkt, macht es wohl Sinn, zu erwähnen, dass in Chemnitz Stadt 15% der Einwohner Hartz IV beziehen. Somit gibt es fast doppelt so viele Hartz IV Bezieher wie es Arbeitslose gibt. 

 

Fast kongruent mit dieser wirtschaftlichen Entwicklung, hat auch ein politischer Wandel stattgefunden. Die grossen Parteien waren seither Die Linke und die CDU, woran man bereits eine starke Polarisation der Wähler erkennen konnte. Seit einigen Jahren hat sich nämlich am Rechten Rande der politischen Landschaft eine neue Ortschaft offenbart, in der sich nun die NPD, AFD und Pro Chemnitz angesiedelt haben. Zusammen stellen sie 7 der 60 Sitze im Stadtrat dar und vermutlich werden es nächstes Jahr bei den Wahlen noch mehr.

 


Trump, 5 Sterne Partei, Chemnitz-ein ähnliches Bild


 

Der politische Wandel in Chemnitz lässt sich auch mit dem Phänomen Trump ganz gut erklären. Denn ein ganz ähnliches Bild zeichnete sich bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 ab. Trumps Wählerschaft war besonders an einem Punkt stark ausgeprägt. Im jetzigen Rust Belt. Ohio, bekannt als einer der wichtigsten Swing States, hat sich 2016 für Trump entschieden. Wie in Sachsen war in diesem Bundesstaat früher die Schwerindustrie ein grosser Wirtschaftsfaktor, heute nicht mehr. Mit dem Versprechen Fracking wieder einzuführen versprach Trump dort viele Arbeitsplätze und einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere. Die Wähler waren begeistert. 

 

Ein weiteres Beispiel ist nur unweit von Deutschland zu finden. In Italien besteht der Staatsapparat nun durchgehend aus der fünf Sterne Partei. Unter anderem waren es die Jungen Wähler, welche der Partei den Einzug in die Regierung ermöglichten. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 31% schien der einzige Ausweg gegen die Gegebenheiten zu rebellieren, seine Stimme der rechten Partei zu geben. [7] Man vermochte auf die populistischen Parteien mit ihren schon fast sozialistischen Forderungen zu hören. Diese lang ersehnten Verbesserungen für die Arbeitnehmer wurden aber bereits kurz nach der Regierungsbildung wieder über den Haufen geworfen.

 

Der dunkle Mantel um den politischen Wandel, erhellt sich somit mit dem Blick auf die wirtschaftliche Realität der Menschen. Doch auch diese Politik wird die momentane Lage nicht verbessern können. Der Glaube der Menschen, dass dieses neue politische Kaff ihre materielle Situation verbessern kann, erinnert schon fast an einen ideologischen Ablasshandel. Diese Art von Handel(n) offenbart sich ebenfalls in den protektionistischen Massnahmen Trumps und zentralisiert sich in Macron, der einem Arbeitslosen sagt, er müsse nur über die Strasse gehen, um Arbeit zu finden.

 

Auch wenn der politische Wandel versucht eine Alternative herbei zu führen, agieren die wirtschaftlichen Mechanismen ausserhalb ihrer Reichweite. Sie einfach nach seinen Vorstellungen verändern zu wollen, ist im besten Fall eine Illusion und entblösst sich gleichzeitig als Katastrophe.

 

 

 


Quellen:

 

 

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Wismut(Unternehmen), [Zuletzt besucht am 11.11.2018]

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Chemnitz, [Zuletzt besucht am 11.11.2018]

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Chemnitz, [Zuletzt besucht am 11.11.2018]

[4] Michael Müller, Warum auf dem Arbeitsmarkt das Umland die Stadt Chemnitz abhängt, https://www.freiepresse.de/chemnitz/warum-auf-dem-arbeitsmarkt-das-umland-die-stadt-chemnitz-abhaengt-artikel10099929, [Zuletzt besucht am 11.11.2018]

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitslosengeld_II, [Zuletzt besucht am 11.11.2018]

[6] Christian Thomann-Busse, Wenn der Lohn einfach nicht reicht, https://www.zdf.de/nachrichten/heute/hartz-iv-trotz-job-wenn-der-lohn-einfach-nicht-reicht-100.html, [Zuletzt besucht am 11.11.2018]

[7] Europäische Union: Jugendarbeitslosenquoten in den Mitgliedsstaaten im August 2018, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74795/umfrage/jugendarbeitslosigkeit-in-europa/, [Zuletzt besucht am 11.11.2018]


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Kommentare: 1
  • #1

    Franz Schmid (Sonntag, 18 November 2018 20:17)

    Ich habe den Artikel mit Interesse gelesen. Die Machtlosigkeit der Politik kommt meines Erachtens daher, dass sie sich nicht auf den Kern ihrer Möglichkeiten besinnt. Der Kern ihrer Möglichkeiten bestünde darin, gute gesetzliche Bedingungen für den Bürger zu schaffen. Das erste mal seit langem ist dies bei der Einführung von Mindestlohn erreicht worden. Des weiteren wären als überfällige Regelungsfelder zu nennen: Spekulation bei Grundstücksgeschäften, fehlende gleichwertige Besteuerung von Kapital, von Maschinenarbeit, Vermögen. Da gäbe es noch einiges zu nennen.
    Was die Politik mit Trump und AfD als Lösungen anbietet, könnte doch nur ein müdes Lächeln hervorrufen, wenn es daneben nicht auch noch gefährlich wäre.