Afghanistan befindet sich seit mehr als 40 Jahren im Krieg. Eine Schlussfolgerung.
von Ramona Wakil

In diesen 40 Jahren haben mehr als eine halbe Millionen Afghanen ihr Leben verloren. Die Gesellschaft in Afghanistan ist traumatisiert, arm und hegt keine allzu grosse Hoffnung mehr. Die Menschen in Afghanistan belächeln schüchtern die leeren Versprechen der Regierung, des Westens und der Hilfsorganisationen, während sie ihren Schwarztee geniessen, der wohl für die meisten Familien in diesen 40 Jahren der einzige bleibende Partner gewesen und nicht irgendwo in diesem Krieg verloren gegangen ist. Doch wofür all das Leid?
Eine Schlussfolgerung
Akt I Die Kommunistische Partei Afghanistans stürzte 1978 mithilfe eines Staatsstreichs den Präsidenten Mohammed Daoud Khan, der sich der Sowjetunion immer mehr abgewendet hatte. Die friedliche Zeit in Afghanistan wurde somit beendet. Allerdings war das bis dahin eine interne Angelegenheit in Afghanistan. Die Kommunisten kamen anschliessend an die Macht und die Sowjetunion wurde der wichtigste strategische Partner von Afghanistan.
Akt II Die Amerikaner wollten in den 80er Jahren die Kommunisten in Kalter-Kriegs-Manier stürzen, indem junge Männer in pakistanischen Lagern für den heiligen Kampf gegen die vermeintlich gottlosen Kommunisten radikalisiert, trainiert und bewaffnet wurden. Schliesslich folgte der unerbittliche Kampf. Doch wer bewaffnet solche Unmenschen und unterstützt diesen Fanatismus, fragt sich der gesund denkende Mensch. Niemand Geringeres als US-Präsident Jimmy Carter und sein Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński. Letzterer schrie bei der Ankunft 1978 in einem Trainingslager in Pakistan, zu den Mujahedin:
«Wir wissen, wie tief euer Glaube an Gott (Allah) ist und deswegen sind wir fest davon überzeugt, dass euer Kampf erfolgreich sein wird. Dieses Land dort in der Ferne gehört euch! Eines Tages werdet ihr dieses Land wiederbekommen, weil euer Kampf erfolgreich sein wird. Und ihr bekommt eure Häuser und Moscheen wieder zurück, weil eure Sache gerecht ist, und Gott (Allah) ist auf eurer Seite.» [1]
Hier können Sie sich das äusserst interessante Video anschauen:
Und mit diesen Worten begann alles. Die offizielle Version lautet bis heute aber immer wieder, dass die Sowjetunion den ersten Akteur in diesem Krieg markierte. Die Mujjahedin wurden aber vorher bereits aufgebaut, um eine russische Intervention zu provozieren. 1998 gab das auch Brzeziński im Interview How Jimmy Carter and I Started the Mujahideen offen zu:
"Yes. According to the official version of history, CIA aid to the Mujahadeen began during 1980, that is to say, after the Soviet army invaded Afghanistan, 24 Dec 1979. But the reality, secretly guarded until now, is completely otherwise: Indeed, it was July 3, 1979 that President Carter signed the first directive for secret aid to the opponents of the pro-Soviet regime in Kabul. And that very day, I wrote a note to the president in which I explained to him that in my opinion this aid was going to induce a Soviet military intervention." [2]
Akt III Die russische Intervention wurde 1979 provoziert, die Niederlage der Kommunisten folgte 1992, der Aufstieg der Mujaheddin wurde herbeigestrebt, die Taliban folgten wenig später und es passierte. 9/11. Der ganzen Welt stockte der Atem. Es begann eine neue Ära, die bis heute andauert. Der sogenannte «Krieg gegen den Terror» wurde ins Leben gerufen. Die NATO-Kräfte griffen 2002 Afghanistan an, später perfektionierte man diesen Krieg mit der neuesten Technologie; Drohnen. Millionen Menschen flüchteten nach Europa und Amerika, das Opiumgeschäft begann mit jedem Jahr, indem die NATO-Mächte in Afghanistan weilten, zu gedeihen. Was aber während diesen 40 Jahren nebst dem Schwarztee zur Gewohnheit wurde, waren die weinenden afghanischen Mütter und Väter, die ihre Töchter und Söhne beerdigten.
Akt IV Nach diesem tragischen Drama half die eine Billion Dollar, die die USA seit 2001 in diesen Krieg steckten, auch nichts mehr. Herr Brezenski findet aber seinen Plan als äusserst gelungen und bereut nichts, wie er weiter im Interview von 1998 sagt:
Q: And neither do you regret having supported the Islamic [integrisme], having given arms and advice to future terrorists?
Brzezinski: What is most important to the history of the world? The Taliban or the collapse of the Soviet empire? Some stirred-up Moslems or the liberation of Central Europe and the end of the cold war?
Das ist eine Mischung aus purer Heuchelei und abscheulichstem Zynismus. Eingestehen muss sich aber jeder, dass der Krieg in Afghanistan für alle Parteien ein verlorener Krieg ist, auch wenn Herr Brzeziński anderer Meinung ist.
Doch weshalb kämpft man in einer verlorenen Partie immer weiter?
Der Terrorismus, die Milliarden Ausgaben und ein komplizierter Krieg wurden vom Westen in Kauf genommen, um die Grossmachtstellung der Sowjetunion in Frage zu stellen und die Machtausdehnung des sowjetischen Imperiums im Mittleren Osten zu unterbinden. Dass diese Angst die westlichen Staaten, allen voran die Amerikaner, solange motivierte, ist auf den ersten Blick erstaunlich.
Doch den russischen Einfluss im Herzen Asiens zu unterbinden, als wichtigstes aussenpolitisches Ziel zu degradieren, ist logisch und nachvollziehbar, bedenke man wie wichtig Afghanistan aus geopolitischer Sicht ist. Als Nachbarländer den Iran, Pakistan, China und die ehemalige Sowjetunion mit den drei Staaten Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan zu haben, war in diesem Fall kein Segen, sondern ein Fluch. Man möge behaupten, dass wenn man Afghanistan unter seine Kontrolle zählen kann, gleichzeitig sehr viel Macht erhält, um in der Asienpolitik mitzumischen. So viel zum geopolitischen Aspekt.
Was aber in den vergangenen 17 Jahren passiert ist, haben sich sogar die Hardliner in der amerikanischen Aussenpolitik anders vorgestellt.
Zum aussenpolitischen Aspekt kann man zusammenfassend sagen, dass dieser Stellvertreterkrieg in Afghanistan zwischen der Sowjetunion und der USA, ein sogenanntes zweites Vietnam andeutete und auch dieser Plan in jüngster Zeit in Syrien angewendet wird. Natürlich wusste die amerikanische Regierung ihre Bevölkerung zu überzeugen, als die eigenen Truppen im Land am Hindukusch stationiert wurden.
Am 11. September starben bei den Terroranschlägen in New York über 2000 Menschen und die Regierung brauchte, nicht mehr viel zu sagen. Die breite Bevölkerung war auf Rache gestimmt. Was aber in den vergangenen 17 Jahren passiert ist, haben sich sogar die Hardliner in der amerikanischen Aussenpolitik anders vorgestellt. Die Familien des Soldaten, der mit gut gefülltem Konto nachhause kehrt und anschliessend an posttraumatische Störungen leidet, ist ein altbekanntes Beispiel, um Kriege zu verurteilen. Zudem muss man zugeben, dass die Taliban dank dem Drogengeschäft heute stärker denn je sind und es tagtäglich zu blutigen Anschlägen kommt.
Nun mögen viele Menschen doch sagen, dass die Afghanen selber Schuld sind, wenn Terroristen im eigenen Land, die eigene Bevölkerung ermorden. Vergessen sollte man aber nicht, dass diese Extremisten, einst die engsten Verbündeten des Westens waren. Aufgebaut, trainiert und unterstützt wurden sie nämlich nicht von den Afghanen, sondern von den Amerikanern. Was aber in dieser scheusslichen Freundschaft übrigbleibt, ist die Ungewissheit. Der amerikanische Senat ist über die Zustände in Afghanistan peinlich berührt und vermeidet dieses Thema so gut es geht.
Bleibt die Frage, welche Absichten auf beiden Seiten übriggeblieben sind und wie die nahe Zukunft aussehen wird. Ich persönlich stamme zwar aus Kabul, bin in Bern geboren und habe daher die meisten Geschehnisse nicht miterlebt. Zusammenfassend kann ich sagen, dass dieser Krieg nebst der Toten und dem Leid auch in politischer Sicht ein Desaster geworden ist.
Während diesen 40 Jahren hat die US-Regierung brutal und eigensinnig gehandelt. Sie haben ihr militärisches Potential ausgetestet und ihre Fähigkeiten verbessert, doch zugegebenermassen hat dieser Krieg auch die amerikanische Gesellschaft zerrissen. Die dunkelsten und dreckigsten Wahrheiten kamen mithilfe von WikiLeaks ans Licht. Die «grundlegende Werte und Vorstellungen» vom militärisch-industriellen Komplex schockten die Menschen auf der ganzen Welt. Die USA haben während diesen 40 Jahren aber nicht nur in Afghanistan Krieg geführt, sondern von Jugoslawien bis Syrien ganze Städte niedergebombt.
Man muss auch den afghanischen Regierungen Korruption, Verrat und aggressives Vorgehen anhängen aber solch eine Tragödie hätte die Regierung alleine nie auf die Beine gestellt. In diesem langen und komplizierten Krieg spielten Machtdemonstrationen eine wichtige Rolle.
Afghanistan kann man nicht ignorieren.
Trotzdem muss ich vielen Menschen auf der Welt vorwerfen, zu wenig für die afghanische Zivilbevölkerung getan zu haben. Es landeten beispielsweise Schweizer Waffen in die Hände der Mujahedin und solche Zustände scheinen bis heute, die wenigsten zu interessieren. Es kann angesichts der Tatsache, dass die Menschen diesen Krieg längst vergessen haben, sehr gut sein, dass die afghanische Bevölkerung nochmals ähnliche 40 Jahre ertragen muss.
Man kann vielleicht als gewöhnlicher Bürger nicht viel für die Menschen in Afghanistan tun, für sein eigenes Gewissen besteht aber stets die Möglichkeit, eine gute Tat zu vollbringen. Jeder sollte wissen, dass man über schreckliche Dinge, die in der Familie passiert sind, reden und keineswegs ein anderes Verbrechen ignorieren sollte. Man wird es nämlich nie ganz vergessen können. Das gilt auch für politische Ereignisse. Ignoranz verschönert nämlich das westliche Verbrechen nicht.
Eines Tages müssen sich die Mächtigen, die dieses Drama koordiniert haben, hinsetzten und reinen Tisch machen. Das sind sie Afghanistan schuldig. Bis dahin hoffe ich aber auf die Solidarität und das Verständnis der restlichen Weltbürger und hoffe auf offene Diskussionen über mein Heimatland.
Wer die genaueren Umstände dieses Krieges verstehen will, empfehle ich fürs Erste, die Maturaarbeit meiner Schwester durchzulesen. In der Arbeit sind die Motive der USA und seiner Verbündeten Pakistan und Saudi-Arabien dargelegt und dokumentiert. Die Arbeit behandelt den Kriegsbeginn und ist nicht nur faktenreich, sondern auch einfach zu verstehen.
Quellen:
[1] Sveinbjornt, Zbigniew Brzezinski to the Mujahideen: "Your cause is right and God is on your side!", https://www.youtube.com/watch?v=A9RCFZnWGE0, [letzter Zugriff am 03.09.2018]
[2] St. Clair Jeffrey und Alexander Cockburn, How Jimmy Carter and I started the Mujahideen, https://www.counterpunch.org/1998/01/15/how-jimmy-carter-and-i-started-the-mujahideen/, [letzter Zugriff am 03.09.2018]
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