Konfrontation der Exekutive mit Fragen über Neutralität, Waffenexport und Moral
von Ramona Wakil und Nick Häfeli

Nach dem der Bundesrat die Gesetze für den Waffenexport gelockert hat, folgte nicht nur aus den linken Parteien und der breiten Bevölkerung ein entsetztes Kopfschütteln, sondern man fragte sich zu Recht, wie ernst die politische Führung es mit der Neutralität und der Friedenspolitik noch nimmt. Daraufhin haben mein Schulkollege Nick Häfeli und ich einen Brief verfasst, um die ein oder andere Antwort zu erhalten. Die Antwort des Verteidigungsministers war dann doch sehr einfach und gelegen verfasst.
Dieser Brief resultierte als Reaktion auf den Bundesratsentscheid im Juni 2018, welcher die Lieferung von Schweizer Waffen in Kriegsgebiete legitimiert. Der Brief wurde nicht nur an das Sekretariat des Bundesrates, sondern auch an sämtliche Mitglieder des National-und Ständerates per Mail gesendet. Einige Parlamentarier haben sich darüber gefreut und unseren Brief gelobt. Das zeigt, wie schnell und offen man in der Schweiz ein Anliegen ansprechen kann.
Nichtsdestotrotz ist es erforderlich, dass mehr Bürgerinnen und Bürger durchdachte Reaktionen auf solche Entscheide aufbringen. Es ist erforderlich, um die direkte Demokratie, die immer voller Anerkennung angesprochen wird, zu behalten und fördern. Zunächst können Sie den originalen Brief durchlesen und anschliessend die Antwort von Bundesrat Johann-Schneider Ammann dazu. Es folgt noch eine kurze Schlussfolgerung und was mit solch einer Antwort anzustellen ist.
Der Brief
Sehr geehrter Herr Bundesrat Schneider-Ammann
Es ist schon interessant, wie Neutralität heute konnotiert ist. Der lateinische Wortursprung Neutrum bedeutet lustigerweise „keines von beiden“, vor dem Gericht bedeutet sie die Gleichbehandlung der Parteien. Als aussenpolitisches Instrument ist sie nichts weiter als ein Vorhang, welcher, wie sie selbst auf Ihrer EDA-Website erklären1, nur ein Mittel zum Zweck darstellt. Somit sehen wir am Beispiel der Waffenexporte, dass sie der lateinischen Bedeutung vollumfänglich nachkommen, indem die Schweiz weder als Verfechterin des Friedens noch als Kriegsmacht auftritt, sondern als profitgesteuerte Waffenexporteurin.
Bis dato kann die Exekutive, das heisst Sie und Ihre 6 Kollegen über den Waffenexport entscheiden und auch die Neutralitätspolitik unterliegt keinen Rechtsnormen. Kurz gesagt, der Bundesrat hat die vollkommene Entscheidungsmacht über den Waffenexport. Die Neutralität der Schweiz, heisst es, ist aber humanitär geprägt und orientiert sich an Friedensfragen.2 Schön und gut. Können Sie mir denn erklären, inwiefern Schweizer Waffen zum Frieden beigetragen haben? Haben die Schweizer Waffen, die in den 90er Jahren in Afghanistan bei den „Freiheitskämpfern“ gelandet sind, für Frieden gesorgt?3 Nein. Haben die Schweizer Handgranaten in Syrien für Frieden gesorgt? Nein. Haben die Waffenexporte für Saudi-Arabien für Frieden im Jemen gesorgt? Ebenfalls nein. Haben all diese Waffenexporte für mehr Wohlstand in der Schweiz gesorgt? Natürlich. Die Rüstungsunternehmen haben ganz bestimmt mit Ihren Hundert Millionen Umsätzen für mehr Wohlstand gesorgt. Die Schweiz muss nämlich weiterhin Arbeitsplätze, normale Produktion und Innovationsinvestitionen sichern, heisst es dann immer wieder von Ihrer Seite.4 Genau darum geht es. Es geht nicht um irgendwelche humanitäre Traditionen und gute Dienste. Es geht um Profit.
Wenn der Bundesrat trotzdem mit den unangenehmen Fragen konfrontiert wird, argumentiert er dann sehr schwach. Als nämlich Schweizer Handgranaten im Jahre 2012 bei syrischen Rebellen gefunden wurden, kam es zu einer Medienmitteilung seitens des Bundesrats.5 Da beteuert der Bundesrat, dass nach Abklärungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, wieder sichere Rahmenbedingungen für den Waffenexport bestehen und auch das Kriegsmateriallieferungen in Konfliktgebiete zurückhaltend gemacht werden. Doch können Sie uns erklären wie es ist, wenn Menschen zurückhaltend zu Kriegsopfern werden? Macht es einen Unterschied ob Menschen von Offensiv- oder Defensivwaffen getroffen werden? Wir vermuten, dass Sie diesen Unterschied nicht erklären können.
Ebenfalls vermuten wir, dass auch Sie die Waffengewalt in den USA verurteilen. Sie denken doch bestimmt, dass die Amerikaner, allen voran, Präsident Donald Trump doch unlogisch und inhuman handeln, indem sie solche Zustände billigen. Natürlich ist Ihnen auch die enorme finanzielle und politische Macht bekannt, durch die die NRA die Gesetzgebung beeinflusst. Ein ähnliches Szenario hier in der Schweiz zu beobachten, bereitet uns Sorgen.
Zudem ist auch ein Hauch von Eigeninteresse in diesem Szenario zu erkennen, da der Bund ja selbst Besitzer einer Rüstungsfirma ist; der RUAG. Sich selbst die rechtlichen Rahmenbedingungen für sein Handeln zu erschaffen, nennt man normalerweise Diktatur. Was dies alles mit Neutralität zu tun haben soll, ist uns hinter ihrem Vorhang verborgen. Es kann nicht sein, dass die Schweiz „neutral“ Werkzeuge zum Töten herstellen kann und sie praktizierenden Kriegsmächten verkauft und diesen grausamen Kurs als Waffenexporteurin nicht nur fortsetzt, nein, sondern noch fördert, indem Gesetze gelockert werden. Und nein, Herr Bundesrat, das Ganze wurde nicht hochgespielt, wie Sie sagten, sondern Sie verschleiern die Ethik dahinter, die ja unser Fressen konkurrenziert.6
In einer ethischen Debatte über Krieg und Mord hat das Argument der Wirtschaftlichkeit schlicht kein Gewicht. Diese Waffen werden geliefert, um Menschen zu töten. Sie selbst würden keine Unschuldigen töten, Ihre Partner schon eher. Saudi-Arabiens Sheikhs geben in Interviews offen zu, dass Sie syrische Rebellen bewaffnen.7 Einem mörderischen Partner Waffen zu geben, sollte sich für Schweizerinnen und Schweizer sehr absurd anhören. Es ist doch nicht ertragbar, wenn Tausende Kilometer weit weg Menschen sterben, nur um unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Wenn dem so ist, dann sagen Sie das direkt und legen Sie die Karten offen auf den Tisch. Sie verpacken das Morden und das Ausrüsten von bewaffneten Rebellengruppen mit leichtfertigen Argumenten. Sehr geehrter Herr Bundesrat, es ist Ihre Aufgabe, friedlich zu handeln und neutrale Absichten zu verfolgen. Dazu gehört nicht, kriegerischen Ländern Waffen zu verkaufen und schon gar nicht die bestehenden Gesetze für den Waffenexport zu lockern.
Wir bitten Sie höflichst um eine Antwort, die die Schweizer Bürgerinnen und Bürger genauso verdienen, wie die 13 Rüstungsfirmen, denen Sie ebenfalls sehr zuvorkommend geantwortet haben.
Vielen Dank im Voraus
Mit freundlichen Grüssen
Ramona Wakil Nick Häfeli
1 EDA, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/voelkerrecht/neutralitaet.html, [Zuletzt besucht am 02.09.2018]
2 EDA, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/voelkerrecht/neutralitaet.html, [Zuletzt besucht am 02.09.2018]
3 Verfasser fehlt, 100 Fakten, https://www.kriegsmaterial.ch/site/Die-Initiative/100-Fakten/100-Fakten.html,
[Zuletzt besucht am 02.09.2018]
4 Kleck Doris und Blunschi Peter, Johann Schneider-Ammann: «In Länder wie Syrien darf nicht geliefert werden», https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/johann-schneider-ammann-in-laender-wie-syrien-darf-nicht-geliefert- werden-132729586,
[Zuletzt besucht am 02.09.2018]
5 EDA, Schweizer Handgranaten in Syrien: Abschluss der Untersuchungen und Massnahmen, https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-46075.html, [Zuletzt besucht am 02.09.2018]
6 Kleck Doris und Blunschi Peter, Johann Schneider-Ammann: «In Länder wie Syrien darf nicht geliefert werden», https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/johann-schneider-ammann-in-laender-wie-syrien-darf-nicht-geliefert- werden-132729586,
[Zuletzt besucht am 02.09.2018]
7 Truth Syria, Syria - Daraa Revolution was Armed to the Teeth from the Very Beginning https://www.youtube.com/watch?v=FoGmrWWJ77w&frags=pl%2Cwn, [Zuletzt besucht am 02.09.2018]
Die Antwort
Sehr geehrte Frau Wakil
Sehr geehrter Herr Häfeli
Besten Dank für Ihren Brief bezüglich der geplanten Änderung der Verordnung für Kriegsmaterialexporte. Gerne nehme ich dazu folgendermassen Stellung:
Auch aus Sicht des Bundes handelt es sich bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern um ein wichtiges und emotional diskutiertes Thema, mit dem der Bund entsprechend sorgfältig umgeht.
Der Bundesrat hat den Grundsatzentscheid vom 15. Juni über die Anpassung der Kriegsmaterialverordnung mit einer ausführlichen Medienmitteilung erklärt (https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/seco/nsb-news/medienmitteilungen-2018.msg-id-71161.html). Gerne fassen wir die wichtigsten Punkte nachfolgend zusammen:
Über eine eigene industrielle Basis in der Sicherheits- und Wehrtechnik zu verfügen, ist für die Sicherheitspolitik eines kleinen, neutralen Landes zentral. Entsprechend verpflichtet das Kriegsmaterialgesetz die Schweiz zur Aufrechterhaltung einer an die Bedürfnisse der Landesverteidigung angepassten industriellen Kapazität unter Erfüllung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz sowie unter Wahrung ihrer aussenpolitischen Grundsätze.
Zur Gewährleistung dieses Ziels müssen die Rahmenbedingungen der Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial regelmässig überprüft werden. Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats erkannte vor dem Hintergrund der rückläufigen Entwicklung in der Rüstungsindustrie diesbezüglich im Februar 2018 Handlungsbedarf und signalisierte diesen gegenüber dem Bundesrat.
Die nun vom Bundesrat eingeleitete Anpassung erfolgt in einem durch die übergeordneten gesetzlichen Grundlagen beschränkten Handlungsspielraum. Auch zukünftig soll die Lieferung von Kriegsmaterial an Endbestimmungsländer, welche in einen internen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, grundsätzlich abgelehnt werden. Im Einzelfall soll neu eine Ausfuhrbewilligung erteilt werden können, wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial im internen bewaffneten Konflikt eingesetzt wird. Beispielsweise könnte mit dieser Ausnahmeregelung die Ausfuhr von Kriegsmaterial für die Flugabwehr oder die Marine an Thailand, in dessen südlichen Landesteil ein interner bewaffneter Konflikt herrscht, geprüft werden.
Auf Bürgerkriegsländer wie bspw. Jemen, Syrien, Süd-Sudan, Libyen, Kongo, Zentralafrikanische Republik, Irak und Somalia würde die Ausnahmeregelung jedoch entgegen gewisser Medienberichte keine Anwendung finden: Ausfuhren in diese Länder würden weiterhin nicht bewilligt. Sie stehen ausserdem unter einem Waffenembargo der UNO.
Auch mit der genannten Anpassung praktiziert die Schweiz eine strengere Exportkontrolle als dies der Gemeinsame Standpunkt der EU vorsieht, an welchen auch neutrale Länder wie Schweden und Österreich gebunden sind. Gemäss diesem sind Ausfuhren lediglich dann abzulehnen, wenn sie im Endbestimmungsland bewaffnete Konflikte auslösen, verlängern oder bestehende Spannungen oder Konflikte verschärfen.
Die Anpassung der Kriegsmaterialverordnung ist mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar und ermöglicht weiterhin die Wahrung der aussenpolitischen Grundsätze der Schweiz. Unter anderem wird das Neutralitätsrecht nicht tangiert. Dieses betrifft zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte und ist nicht auf interne bewaffnete Konflikte anwendbar (siehe auch Interpellation Glättli 18.3260: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20183260). Die Verordnungsanpassung steht auch im Einklang mit dem internationalen Vertrag über den Waffenhandel.
Freundliche Grüsse
Johann N. Schneider-Ammann
Bundesrat
Unser Fazit
Wir haben unsere Antwort erhalten, doch wie beurteilen wir die Situation? Der Bundesrat wurde mit sehr klaren Zuständen konfrontiert und hätte allen Grund sich zu verteidigen. Die Antwort daraufhin ist aber sehr nichtssagend. Erhofft haben wir uns natürlich keine Schuldbekenntnis. Ein wenig Verständnis und Offenheit hätten wir aber sicherlich erwartet.
Es ist uns auch klar, dass das Sekretariat vom Bundesrat diese Antwort verfasst und Herr Schneider-Ammann es lediglich überflogen hat. Trotzdem ist es sehr schade, nach solch einem Schreiben eine haltlose Antwort zu erhalten. Zudem ist es nun nachvollziehbar, wenn man die Schweiz nicht als ein politisch neutrales Land bezeichnen mag. Denn, auch wenn das Schreiben des Bundesrates stets von der "neutralen" Schweiz ausgeht, ist diese Politik nicht mit politischer Neutralität zu vereinbaren.
Nichtsdestotrotz muss auch in der Zukunft die Rolle der Schweiz als Waffenlieferant hinterfragt und diskutiert werden. Denn wir wollen unterstreichen, dass in einer ethischen Debatte über Krieg und Mord das Argument der Wirtschaftlichkeit kein Gewicht haben sollte. Ansonsten wird die Schweiz einen neoliberalen Pfad einschlagen, welcher weder mit der vermeintlichen Neutralität noch mit der Friedenspolitik der Schweiz zu vereinbaren wäre.
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Kurt Weber (Sonntag, 21 Oktober 2018 20:33)
Da habt ihr's dem "Bundesrat" Schneider-Amman ganz schön gezeigt! Prägnant und äusserst sprachgewandt argumentiert. Bravo!
Lg Küsä
André (Sonntag, 04 November 2018 18:39)
Super danke für eure mutigen Worte! Macht weiter so:)
LG AE